Freitag, 4. Oktober 2013

Rush

Nein, keine Angst. Dieser Blog wird nicht zu einem Cineasten-Blog mutieren. Cineastisches Kommentieren überlasse ich denen, die deutlich mehr davon verstehen, vor allem Tigermaus8. Aber wenn es um ein Thema geht, das mich seit über 40 Jahren fasziniert, nämlich Motorsport, erlaube ich mir dann doch mal eine Ausnahme.

Rush also. Schon seit fast zwei Jahren konnte man im Internet, wenn man wollte, die Entstehung dieses Films von Ron Howard verfolgen; ein Werk, das schon vor dem Kinostart gern mit den Klassikern Grand Prix und Le Mans verglichen wurde. (Ein Vergleich, der natürlich wie blöde hinkt, denn Grand Prix und Le Mans sind rein fiktional, während Rush auf einer realen Geschichte beruht.) Und nun ist der Film endlich im Kino. Hat sich das Warten gelohnt? Kann ich mich den bisher mit wenigen Ausnahmen eher zustimmenden Meinungen aus der Motorsportszene anschließen?

Zunächst einmal zur historischen Korrektheit. Der Film erhebt nicht den Anspruch, die Story von Hunt und Lauda historisch präzise wiederzugeben, sondern nur nach wahren Begebenheiten gedreht zu sein. Das ist bequem für Autor und Regisseur und liefert für alle Fehler eine Entschuldigung, macht unangreifbar, nimmt Nörglern und Klugscheißern wie mir direkt den Wind aus den Segeln. Als reiner Fan hat man allerdings eh nicht die Insights, um alle Details zu beurteilen, und sowieso ist das Gedächtnis zu schwach, um noch alles präsent zu haben, z. B. wer wann welchen Wagen warum gecrasht hat. Da aber der Herr Lauda persönlich beratend aktiv war (Herr Hunt war bedingt durch sein allzu frühes Ableben diesbezüglich verhindert), sollte der Abstand zwischen Film und Wahrheit nicht allzu groß sein.

Ist er aber über weite Strecken doch. James Hunt war kein Schlägertyp, der Journalisten verprügelte (auch wenn er durchaus mal im Affekt Streckenposten oder Fahrerkollegen gehauen hat). Hunt und Lauda waren, wie man momentan in jeder Rezension lesen kann, nur auf der Strecke, nicht aber jenseits davon Gegner. Das ist eindeutig der unvermeidlichen hollywoodesken Effekthascherei und Dramatisierungslust geschuldet und lässt sich offenbar nicht vermeiden, selbst wenn wie in diesem Fall die wahre Geschichte dramatisch genug ist. Solche grundsätzlichen Dinge zu verfälschen, ist meines Erachtens nach aber auch für einen Film ohne Anspruch auf 100 % Realismus nicht in Ordnung.

Dass viele Szenen offenbar frei erfunden sind, um die Handlung „anzureichern" oder die Charaktere zu definieren (Lauda belehrt die Mechaniker, der Motor müsse mehr PS haben und das Auto weniger Gewicht – prompt ist der Wagen 2 Sekunden schneller – ein absolut depperter Schmarrn, hier graust es mir besonders), fällt wohl unter künstlerische Freiheit und muss daher, wenn auch nur ungern, hingenommen werden.

Es gibt noch viel mehr nicht ganz so entscheidende Abweichungen respektive Fehler, die nicht zwingend hätten sein müssen – das Hesketh-Team ist 73 nicht mit einer eigenen Konstruktion in die Formel 1 eingestiegen, sondern mit einem Kunden-March und hat dann erst 74 ein eigenes Chassis gebaut; Niki Lauda hat nicht mit BRM in der F1 debütiert, sondern mit March (71, komplette Saison 72), ehe er dann 73 zu BRM gewechselt ist; die Lufthutze des BRM hatte zu Beginn dieser Saison noch eine andere Form (okay, jetzt werde ich kleinlich); Lauda trug 76 einen anderen Helm, nämlich das markante Modell von AGV (okay, jetzt werde ich pedantisch); der Regen im sintflutartigen entscheidenden Rennen war in Wahrheit während des Rennens versiegt, so dass zum Schluss die Strecke trocken wurde, was der Grund war, warum die Regenreifen ihren Geist aufgaben – im Film wundert man sich, wie das passieren konnte;  etc., etc., ich könnte noch viel mehr auflisten, und andere werden noch weitere Fehler finden, die mir entgangen sind. Aber vielleicht verlange ich zuviel. Es ist sicherlich klüger, man gibt sein noch nicht der Alterssenilität zum Opfer gefallenes Wissen über die damalige Zeit an der Garderobe ab, dann hat man klar mehr vom Film. Und wer wie ich hinterher besserwisserisch in Büchern und im Internet recherchiert, um noch ein paar Unkorrektheiten mehr zu finden, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen.

Immerhin, die Autos hat Rush schön und überwiegend korrekt. Überraschenderweise haben die Fahrzeuge sogar die damals weitverbreitete Tabakwerbung, die also nicht der heutigen Political Correctness bzw. Gesundheitshysterie zum Opfer gefallen ist. Damit konnte man nicht rechnen.

Zu den Schauspielern. Daniel Brühl gibt Niki Lauda lebensecht, aber arg eindimensional. Sehr viel mehr als ein grimmig-kühler Blick (hat er sich den von Peer Steinbrück abgeschaut?) gehört nicht zu seinem Repertoire. Natürlich ist Lauda nicht für seine Liebenswürdigkeit bekannt, und diesen Charakter bringt Brühl rüber, aber etwas mehr Facettenreichtum im Ausdruck wäre nicht verkehrt gewesen. Eine oscarreife Darstellung habe ich jedenfalls nicht gesehen, und die Lobhudeleien in den Rezensionen kann ich nicht nachvollziehen. Diese mögen aber auch den positiven Kommentaren des Herrn Lauda geschuldet sein, der sich als kompromissloser Typ gefällt, der ohne störende Emotionen auf nichts und niemanden Rücksicht nimmt. In meinen Augen besser war Chris Hemsworth, mir vorher vollkommen unbekannt, als James Hunt. Ihm hat das Drehbuch sogar eine Andeutung von charakterlicher Nuancierung erlaubt; auf der einen Seite der unbeschwerte Playboy, der das Leben lässig genießt, auf der anderen Seite der Fahrer, der sich vor jedem Rennen unentspannt übergeben muss. (Dass Hunt seinen Beruf nicht viel weniger ernst genommen hatte als Lauda, hätte wohl ebenfalls für eine unzumutbare Verkomplizierung der Handlung gesorgt und wird daher vorsichtshalber unterschlagen.) Die Entdeckung des Films war allerdings Alexandra Maria Lara als Marlene Knaus bzw. Lauda. Die hatte ich als attraktiv, schauspielerisch aber eher untertalentiert in Erinnerung; ersteres stimmt nach wie vor, letzteres in Rush nicht. Auffallend, dass die drei ihren Vorbildern durchaus ähnlich sind, das ist sehr gut gelungen. Alle weiteren Figuren spielen im Film nur stark untergeordnete Rollen, die Schauspieler kann man da nicht seriös beurteilen. Von den anderen Fahrern steht nur Clay Regazzoni, gegeben von dem mir noch unbekannteren Pierfrancesco Favino, ein klitzekleines bisschen im Vordergrund. Hier hat man sich mit der Ähnlichkeit keine Mühe gegeben; ein prägnanter Schnurrbart musste reichen.

Ach ja, der Film als solcher. Er erzählt eine spannende Story und ist überwiegend gut gefilmt. Die oben erwähnte reine Konzentration auf die Herren Hunt und Lauda hat dem Film aber nicht gutgetan. Ein weiterer Fall von Eindimensionalität. Man könnte fast denken, die beiden hätten seit Beginn ihrer Motorsportkarriere jeweils keine anderen Gegner gehabt und sich voll aufeinander konzentriert. Das ist natürlich Unfug. Ja, ein Film muss verknappen, ja, der Film strebt keine absolute geschichtliche Genauigkeit an, ja, ein Film fokussiert natürlich auf seine Helden, aber man kann es auch übertreiben. Die Story ist so unglaubwürdiger und auch weniger unterhaltsam als nötig.

Sollte man sich den Film wegen der Rennszenen angucken? Nur bedingt. Die Rennszenen sind die großen Trümpfe von Grand Prix und Le Mans, deren Handlungen ebenfalls nicht der Rede wert (Grand Prix) oder nichtexistent (Le Mans) sind. Man guckt die Filme aber immer wieder gern wegen des wirklich faszinierenden, dramatischen Racings und stört sich nicht weiter am Rest. Rush fällt hier im Vergleich ab. Das mag daran liegen, dass die erwähnten Klassiker quasi in ihrer jeweiligen Jetztzeit gedreht wurden, die Handlungszeit von Rush aber Jahrzehnte zurückliegt. Man musste also die Ereignisse auf der Strecke rekonstruieren – was übrigens für viele Szenen von GP und LM ebenfalls gilt; hier half vielleicht die zeitliche Nähe. Aber das Ergebnis ist in Rush überwiegend hölzern und unrealistisch, hier fasziniert nur wenig, das Dramatische wirkt künstlich, und der Schnitt versucht erfolglos, Dynamik vorzutäuschen. Nur mäßig überzeugen auch die Computeranimationen, auf die man natürlich nicht verzichten konnte – alleine schon, um die Südkehre des Nürburgrings zu zeigen, die schändlicherweise dem Neubau der Strecke zum Opfer gefallen ist, aber ich schweife ab. Wirklich schlimm allerdings sind die Rennszenen, in denen Lauda und Hunt ewig lange Seite an Seite fahren und sich dabei in die Augen gucken. Wenn es etwas nicht gibt, dann so was. Auf derlei klischeehaften Schrott konnten Rennfilme allerdings auch schon früher nicht verzichten. Warum eigentlich? Findet das irgendjemand gut? Stellt sich klein Fritzchen Motorsport wirklich so vor?

Ist der Film also enttäuschend? Wenn man trotz der Warnungen auf eine überwiegend realistische Darstellung der Geschehnisse hofft, ja. Dann ist man aber auch selbst schuld, selbst wenn es für einen echten Fan und Faktenfetischisten schwer ist, eine solche Hoffnung fahrenzulassen. Wenn man sich auf attraktive Rennszenen einer vergangenen Ära freut, wird man ebenfalls nur wenig begeistert sein. Ein Stöbern in YouTube macht deutlich mehr Spaß. Wenn man aber keinen großen Wert auf historische Korrektheit legt und am Duell zweier Helden der Formel 1 interessiert ist oder wenn man vielleicht nur von einem Film mit einem ungewöhnlichen Rahmen unterhalten werden will, wird man trotz aller Schwächen auf seine Kosten kommen. Ein cineastisches Highlight ist Rush sicher nicht, ein schlechter Film aber auch nicht. Auf einer Skala von 1 bis 10 würde ich in der Selbsterkenntnis, ein Pedant zu sein, großzügig 7 geben. Und jetzt freue ich mich auf die Bluray, um in aller Ruhe noch ein paar weitere Fehler zu entdecken.