Mittwoch, 2. Juli 2014

Die Formel 1 und ich. Die Geschichte einer schleichenden Entfremdung.

Wenn es etwas gibt, das mich fast mein ganzes Leben lang begleitet, dann ist es der Motorsport, primär, auch wegen der besseren medialen Verfügbarkeit, die Formel 1. Und wurde man früher mit Formel 1 im TV nicht gerade verwöhnt – meist gab es hierzulande nur den GP Deutschland als Übertragung, ansonsten nur winzige Zusammenfassungen in Sportschau etc. –, werden alle Rennen seit vielen Jahren live gezeigt. Erst Eurosport (unvergessen und sehr vermisst der Kommentar von John Watson), später dann RTL. Alles könnte also ganz prima sein, hätte meine Begeisterung nicht in den vergangenen Jahren peu à peu abgenommen. Ja, ich schalte den Fernseher immer noch ein, aber immer häufiger frage ich mich, warum überhaupt. Damit bin ich nicht der Einzige. Nicht immer ist genau zu ermitteln, wer Schuld an einem bestimmten Missstand ist. Die Teams, die FIA, Bernie Ecclestone, die Aerodynamik. Und wie so oft gibt es auch mehr als nur einen einzigen Grund für die allgemeine Unzufriedenheit. Hier eine Auswahl in willenloser Reihenfolge.

1. Die Ästhetik
Rennwagen haben gefälligst gut auszusehen. Von diesem altehrwürdigen Prinzip entfernt sich die Formel 1 seit Jahren immer mehr. Weil es die Regeln so wollen oder die Aerodynamik so diktiert. Es begann mit den hohen Nasen, an die ich mich nie gewöhnt habe. Dann kamen, von Max Mosley befohlen, die Rillenreifen (zum Glück mittlerweile Geschichte) und die schmalere Spur, die angeblich das Überholen erleichtern sollte, was natürlich ein Trugschluss war (leider noch nicht Geschichte). Dann kamen die überbreiten Frontflügel und schmalen Heckflügel, die den Autos ein arg unproportioniertes Aussehen gaben. Sie sollten das Überholen erleichtern (siehe oben), was natürlich ein Trugschluss war (siehe oben).
     Parallel wuchsen den Autos immer mehr Zusatzflügel und -flügelchen und Luftleitbleche (natürlich nicht aus Blech), die einfach grauenvoll aussehen. Am schlimmsten hat es die Frontflügel getroffen, die schlimme Augenschmerzen verursachen. Die letzte Perversität sind die Nasen der Generation 2014, die aus Gründen der Sicherheit wieder tiefer sein sollten. Da die Konstrukteure aber immer intelligenter sind als die Regelmacher, wurden die Nasen tiefer und blieben gleichzeitig hoch. Ja, es sieht genauso dämlich aus, wie es klingt. Es ist zum Heulen und Erbrechen. In welcher Reihenfolge auch immer. Bezüglich der hochtiefen Nasen wurde Besserung angekündigt, aber die Erfahrung zeigt, dass das Ergebnis eher schlimmer als besser aussehen wird. Lassen wir uns überraschen.

2. Die Rennstrecken
Einen nicht unerheblichen Einfluss auf ein gutes Autorennen hat die Rennstrecke, auf der das Rennen stattfindet. Manche Strecken-Layouts laden zum Überholen ein, andere verhindern es. Viel zu oft könnte man meinen, der Streckendesigner sei ein boshafter Sadist oder ein Feind des Motorsports. Auch wurde manche ehemals schöne Rennstrecke verhunzt, um fernsehfreundlicher zu werden. So hat man Silverstone entstellt und Hockenheim verstümmelt. Leider spielt die Qualität der Strecke keine Rolle bei der Zusammenstellung des Kalenders. Jetzt hat Raffzahn Bernie Ecclestone gedroht, Monza aus dem Kalender zu streichen. Eine der besten Strecken soll geopfert werden, weil sie zu wenig Geld in die Kassen von BE spült. Zum Thema Rennstrecken hatte ich mich aber bereits früher sehr ausführlich ausgelassen, insofern kann ich dieses Kapitel hier schon wieder beenden. Genießen Sie das, jetzt wird es wieder wortreich.

3. Die Regeln
War es das schlechte Gedächtnis der Fans oder ein Sieg der Spaßgesellschaft? Man wird es wohl nie erfahren. Jedenfalls war man sich irgendwann einig, dass in der Formel 1 viel zu wenig überholt würde und die Rennen total langweilig seien und man das nicht mehr sehen könne und früher überhaupt alles viel, viel besser gewesen sei. Natürlich hat sich niemand die Mühe gemacht, mal auf DVD Rennen von früher anzusehen. Das ist sehr lehrreich, merkt man doch sehr schnell, dass auch früher viele Rennen sehr langweilig waren und eher Prozessionen glichen. Wie dem auch sei, aufgeschreckt durch nölende Fans wird jetzt mit künstlichem Schnickschnack versucht, die Rennen aufzupeppen.
     Da sind zuerst die vorgeschriebenen Boxenstopps zum Reifenwechseln zu nennen, wobei man pro Rennen immer beide angebotenen Gummimischungen verwenden muss, ob das nun sinnvoll ist oder nicht. Die besondere Pointe dabei ist, dass die weichere Mischung oft sehr schnell abbaut (jetzt nicht mehr ganz so extrem, das war schon mal schlimmer) und sich der Fahrer dann nicht mehr gegen das Überholtwerden wehren kann. Aber was soll's, Hauptsache, ein Überholmanöver mehr. Und natürlich sind die Boxenstopps auch wichtig fürs TV – egal, was gerade auf der Strecke los ist, wenn ein Wagen zum Reifenwechsel in die Boxen kommt, schaltet die Regie reflexartig dahin. Reifenwechsel waren schon immer Teil des Motorsports, aber immer nur, wenn es sein musste. Jetzt ist es Zirkus.
     Vielleicht noch eine Idee alberner als die doofen Reifen und Reifenwechsel ist das sogenannte DRS, was für Drag Reduction System steht. Hat der Hinterherfahrende in einem definierten Streckenbereich maximal eine Sekunde Rückstand auf den Vorfahrenden, darf er einfach seinen Heckflügel flacher stellen und so den Luftwiderstand reduzieren. Meist reicht das für ein bequemes Vorbeirauschen. Das ein solches Überholmanöver nicht den geringsten sportlichen Wert hat, spielt dabei nicht die geringste Rolle. Hauptsache, es ist was los auf der Strecke. Der gelegentlich einschaltende Pseudofan mag ein solches billiges Spektakel goutieren, der echte Fan aber wendet sich mit Grausen. Überholen muss schwierig sein. Denn es ist nun mal das Beherrschen der hohen Kunst des Überholens, der die sehr guten Fahrer von den guten trennt.
     Weil das alles aber noch nicht absurd und hanebüchen und lächerlich genug sei, wird es jetzt im letzten Rennen doppelte Punkte geben. Man kann doppelte Punkte bei einem besonderen Rennen verstehen, zum Beispiel für Le Mans in der WEC oder für die Indy 500, das sind längere Rennen, das sind Klassiker. Aber nur, weil es das letzte Rennen ist? Das ist grotesk. Immerhin versucht keiner von den Deppen, die sich das ausgedacht haben, das mit echten Argumenten zu verteidigen. Die Saison soll so lange wie möglich spannend bleiben. Trotz der verheerenden Resonanz, die dieser Vorschlag überwiegend erzeugt hat, bleibt es wenigstens für dieses Jahr dabei. Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass den Produzenten der Formel 1 der ernstzunehmende Zuschauer am Allerwertesten vorbeigeht, wäre er spätestens hier erbracht.
     Möglicherweise war man aber der Meinung, dass man dafür gar nicht genug Beweise bringen könne. Denn man war nicht faul und hat sich die nächste hanebüchene Regeländerung ausgedacht. Ab dem kommenden Jahr wird es nach einer Safety-Car-Phase einen stehenden Start geben, also wie nach einem Rennabbruch. Warum man dann noch ein Safety Car braucht, verstehe ich zwar nicht, aber man muss ja nicht alles verstehen. Jedenfalls kann man den spannendsten Teil des Rennens nach Belieben vervielfältigen. Bestimmt werden sich zukünftig noch mehr Gründe für ein Safety Car finden. Man könnte verzweifeln.
     Und dann ist da noch die unglaubliche Komplexität vieler Regeln, die der nicht ganz so technikaffine Fan nicht mehr nachvollziehen kann. Wenn ein Fahrer disqualifiziert wird, weil sein Wagen nicht während des Rennens insgesamt, sondern nur phasenweise zu viel Benzin verbraucht hat, bleibt nur noch Kopfschütteln. All das nur wegen eines pseudogrünen Anstrichs.

Ich habe den Eindruck, gerade bei den verzweifelt und überstürzt wirkenden Regeländerungen in Richtung billigem Spektakel liegt ein tragisches Missverständnis vor. Vielleicht liegt die sinkende Zahl der Zuschauer – vor Ort oder vor dem TV – ja gar nicht an der Qualität des Produktes Motorsport als solchem. Vielleicht liegt es daran, dass der Motorsportzuschauer heutzutage viel mehr Möglichkeiten für seine Freizeitplanung hat. Alleine das Internet frisst immer mehr Zeit. Die Jüngeren entwickeln andere Interessen als die Älteren, das ist ganz normal. All das wird ignoriert. Ganz offenbar versucht man verzweifelt, mit immer krawalligeren Ideen neue Zuschauer aus dem Kreis der Spaßgesellschaft zu keilen, merkt dabei aber nicht, wie man die echten Fans immer mehr vergrault. Das kann nicht gutgehen, das ist fast schon ein Teufelskreis. Zuschauer wandern ab, eine absurde Idee soll neue Fans gewinnen, was nicht funktioniert, stattdessen wandern noch mehr ehemals treue Zuschauer ab, weil sie den Irrwitz nicht mehr ertragen, worauf die FIA mit einer noch absurderen Idee kontert, worauf dann … nun ja.

Wie lange ich mir den Schwachsinn Formel 1 noch antun werde? Ich kann es nicht sagen. Endlos aber mit Sicherheit nicht. Und es gibt anderen Motorsport, der noch Spaß macht. Wenn sich also die Wege der Formel 1 und mir trennen, werden wir beide nicht allzulange traurig sein.